Im All wird es immer voller. Neben einer zunehmenden Zahl von Satelliten, die auf unterschiedlichen Umlaufbahnen kreisen, steigern immer größere Mengen von Weltraumschrott das Risiko von Kollisionen. Das Startup OKAPI:Orbits hat eine Software entwickelt, die solche Zusammenstöße verhindern soll. Künstliche Intelligenz hilft dabei, automatisierte Ausweichmanöver zu berechnen.

Das wachsende Problem des Weltraumschrotts

Ob Navigation, Wettervorhersagen, Mobilfunk-Kommunikation oder Internetzugang: Viele Bereiche des modernen Lebens funktionieren nur, weil Satelliten im Weltraum die entsprechenden Signale verarbeiten. Und ihre Anzahl steigt stetig. Wurden bis 2019 nie mehr als 400 neue Objekte pro Jahr gestartet, kreisten Anfang 2023 laut Statista schon fast 7.000 Flugkörper um die Erde – den mit Abstand größten Anteil daran hat die Starlink-Konstellation des amerikanischen Raumfahrtunternehmens SpaceX, das mit seinem Satellitennetzwerk weltweit schnelles Internet anbieten will. Parallel nimmt die Anzahl von Schrottteilen im Orbit kontinuierlich zu. Von ausgedienten Raketenoberstufen über abgeschaltete Satelliten bis hin zu Trümmerteilen, die bei Kollisionen entstanden sind, befinden sich aktuell rund 130 Mio. Überbleibsel in der Erdumlaufbahn. Allein bei einem Zusammenstoß zweier aktiver Satelliten im Jahr 2009 entstanden mehrere tausend Fragmente.

Risiken im Orbit

„Solche Kollisionen sind ein großes Problem, weil sie eine Kettenreaktion auslösen“, sagt Kristina Nikolaus, Geschäftsführerin des in Braunschweig ansässigen Space-Tech-Startups OKAPI:Orbits. „Wenn sich zwei Objekte im All treffen, zersplittern sie in viele kleine Stücke. Diese kollidieren untereinander noch einmal, so dass eine Schrottwolke und damit ein exponentieller Anstieg von Trümmerteilchen entsteht.“ Unterschiedliche Marktanalysen gehen davon aus, dass im kommenden Jahrzehnt weitere 40.000 bis 70.000 Satelliten in den Orbit entsandt werden. „Damit steigt auch das Risiko von Kollisionen noch einmal erheblich“, macht Nikolaus deutlich. Je nach Einsatzzweck und Umlaufbahn können die Flugkörper klein wie ein Schuhkarton oder groß wie ein Linienbus sein, erläutert sie. „Es kommt regelmäßig vor, dass ein Schrottteil in ein Raumfahrtgerät einschlägt und dann zu unterschiedlich schweren Schäden führt. Wenn der Gegenstand einen Durchmesser von mehr als zehn Zentimetern hat, ist die Wahrscheinlichkeit für einen Totalverlust des Satelliten sehr groß.“

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Porträt

Kristina Nikolaus (29) leitet gemeinsam mit Christopher Kebschull (links) und Jonas Radtke (rechts) das SpaceTech-Startup OKAPI:Orbits. Die Geschäftsführerin absolvierte 2016 ein duales BWL-Studium und machte 2019 ihren Master mit dem Schwerpunkt Informatik und Marketing an der Technischen Universität Braunschweig. Das Magazin Forbes zählte sie 2020 zu den 30 außergewöhnlichsten Persönlichkeiten unter 30 Jahren in Deutschland.

Automatisierte Ausweichmanöver

OKAPI:Orbits schützt Satelliten mit einer eigens entwickelten Software vor solchen Kollisionen und trägt so zu einer nachhaltigeren Weltraumfahrt bei. Das Startup ist als Ausgründung des Instituts für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig seit 2018 offiziell auf dem Markt. In den Jahren zuvor gab es am Institut zwar schon erste Forschungsarbeiten zu dem Thema, doch es fehlten die finanziellen Mittel, um die Ideen wirtschaftlich umzusetzen. Das Gründungsteam, bestehend aus Christopher Kebschull, Jonas Radtke, Kristina Nikolaus und Sven Müller, fand mithilfe des Schwarzen Bretts der Uni zusammen. „Wir haben als Team identifiziert, dass der Bedarf extrem hoch ist, weil die kommerzielle Raumfahrt enorm wächst“, berichtet Nikolaus. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Gleich im Gründungsjahr kam der erste Auftrag der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), den das Okapi:OrbitsTeam noch als Unterauftragnehmer der TU Braunschweig annahm. 

Potenziale von Machine Learning 

Kern der Software ist die Analyse von Observationsdaten aus unterschiedlichen Quellen wie Laser-Ranging-Anlagen, Radarstationen und Teleskopen. „Wir sind weltweit die einzige Plattform, die all
diese Datensätze kombiniert und dadurch ein holistisches Bild der im Orbit befindlichen Objekte zeichnen kann“, erläutert die Geschäftsführerin. Die Fusion der Daten sei aufgrund ihrer Unterschiedlichkeit ein technisch komplexes Unterfangen, das durch häufig auftretende Ungenauigkeiten bei Beobachtungen von Weltraumobjekten noch erschwert werde. „Diese Ungenauigkeiten gilt es systematisch zu minimieren, wofür Testreferenzen weiterer Beobachtungsanlagen erforderlich sind.“ Gleichzeitig hilft Machine Learning, die Observationsdaten zusammenzuführen und Abhängigkeiten zwischen Datenpunkten zu identifizieren. Ein neuronales Netz ermöglicht schließlich das Treffen von Vorhersagen über die Entwicklung des Kollisionsrisikos – und eröffnet damit den Betreibern von Satelliten frühzeitige Handlungsoptionen. „Wir können mit unserer Software die Business Cases der Satellitenbetreiber einbeziehen und nicht nur das Risiko für Kollisionen minimieren, sondern auch individuell angepasste und optimierte Manöverstrategien entwickeln berichtet Nikolaus.

70 % Kostenersparnis

Ein Beispiel: Wenn sich ein Satellit um 15 Uhr über Berlin befinden soll, lassen sich eventuell notwendige Ausweichmanöver so gestalten, dass diese Vorgabe erreicht wird. Dies gelingt, indem das Manöver viel früher als bisher möglich eingeleitet wird, sodass der Satellit schneller zurück in seine Zielposition gelangt. Je mehr Satelliten im Weltraum unterwegs sind, umso wichtiger werden solche automatisierten Lösungen. Die Datenplattform sei sehr präzise und komplett unabhängig, betont Nikolaus: „Damit können unsere Kundinnen und Kunden 70 % der Betriebskosten im Vergleich zu klassischen Ausweichmanövern einsparen. Gleichzeitig können sie die Manöveranzahl um den Faktor zehn reduzieren, weil sie genauer verstehen, was passiert und ob ein Eingreifen überhaupt erforderlich ist.“ Dass die 29-Jährige einmal in der Raumfahrtbranche landen würde, war zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn noch nicht abzusehen. Während ihres dualen BWL-Studiums bei Daimler arbeitete sie unter anderem in Malaysia im Vertrieb, sammelte Erfahrungen im Kundenservice und absolvierte ein Auslandssemester in Sibirien. Für Technik im Allgemeinen und Raumfahrt im Speziellen habe sie sich schon immer interessiert: „Darum finde ich es toll, jetzt bei OKAPI:Orbits zu sein und mich für eine ressourcenschonende Raumfahrt einzusetzen. Es ist sehr mitreißend, im Alltäglichen mit Satelliten, Raketen und Raumstationen zu tun zu haben.“

Okapi Orbit

Rasantes Wachstum

Mittlerweile hat das junge Unternehmen laut Kristina Nikolaus einen „soliden Kundenstamm“, der sukzessive größer und internationaler wird. Das zeigt sich auch in der Zahl der Beschäftigten. Gab es
Anfang 2022 noch 15 Mitarbeitende, sind es mittlerweile schon 40 – die meisten von ihnen Software-Entwickler:innen und Raumfahrtingenieur:innen. Aktuell beobachtet das Startup mehr als 150 Satelliten. Wie viele Unfälle durch die Software schon verhindert wurden, lasse sich nicht beziffern, sagt Nikolaus. „Wir sichern alle von uns beobachteten Satelliten kontinuierlich vor einer Kollision, und Fakt ist: Bisher ist es noch zu keiner gekommen.“ Die Plattform sei darauf ausgelegt, auch den in Zukunft zu erwartenden Satellitenverkehr im Weltraum bewältigen zu können. Allerdings brauche es besser früher als später so etwas wie Ampelsysteme und Vorfahrtsregeln, um den Verkehr ordnen zu können. „Unsere Vision ist es, diese Verkehrsregeln dann komplett automatisiert nachzuvollziehen. Und da sind wir auf einem guten Weg“, macht Nikolaus deutlich.

 

Text: Anne-Katrin Wehrmann

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