Alternative Proteinquellen: Lebensmittel aus dem Labor
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Immer mehr Menschen verzichten auf regelmäßigen Fleischkonsum – sei es aus ethischen, ökologischen oder gesundheitlichen Gründen. Die Forschung der Lebensmittel- und Pharmaindustrie eröffnet neue Chancen, den Geschmack eines Steaks ohne oder nur mit begrenztem tierischen Ursprung zu genießen. Bereits in wenigen Jahren könnte über ein Fünftel der weltweit verzehrten Proteinlieferanten aus alternativen Quellen stammen und damit auch Unmengen an CO2 einsparen. Doch was genau steckt hinter Proteinen aus der Petrischale? Wie werden sie entwickelt und wer sind die Vorreiter? Die Entwicklung unserer Ernährung im Fokus.
Unser Körper ist auf Eiweiße, sogenannte Proteine, angewiesen. Sie werden aus vielen miteinander verknüpften Aminosäuren aufgebaut und stecken in Fleisch, Fisch, Milch, Eiern, aber auch in pflanzlichen Nährstoffen wie Sojabohnen, Nüssen, Erbsen und vielem mehr. Dabei haben sich alternative Proteinquellen in den vergangenen Jahren von einem Nischen- zu einem Trendprodukt entwickelt. Sie werden unter anderem von Lebensmitteltechnikern im Labor generiert – auf Basis von Pflanzen, Mikroorganismen oder Tierzellen.
Ursachen für diese Entwicklung sind in staatlichen Gesetzgebungen wie der CO2-Bepreisung zu finden, aber auch in einem gestiegenen Bewusstsein der Gesellschaft in puncto Umwelt, Klima und ethisch vertretbarer Tierzucht. Hinzu kommt, dass die Life-Sciences-, Pharma- und Healthcare-Industrien zunehmend über Technologien verfügen, um bei Geschmack und Konsistenz auf Augenhöhe mit tierischen Proteinquellen zu sein. Daher schauen sich mittlerweile auch konventionelle Fleischerzeuger nach zukunftsweisenden Alternativen um.
Basierend auf einer Studie der Boston Consulting Group und des Organic-Food-Herstellers Blue Horizon aus 2021, werden bis 2035 je nach Szenario 11 bis 22 % der global verzehrten Fleisch-, Ei- und Milchprodukte aus dem Labor stammen. In den kommenden zehn Jahren werden die Kosten bei nachhaltig produzierten Proteinen für beliebte Gerichte von Spaghetti Bolognese über Pizza und Kuchen bis hin zum Steak sukzessive unter jene tierischen Ursprungs fallen. So wird der „Fleisch-Peak“, bei dem der weltweite Konsum auf dem Höhepunkt angelangt ist, auf 2025 beziffert und danach rapide sinken – vor allem in Asien und Europa. Das gesamte Umsatzvolumen der Branche wird daher für 2035 auf 290 Mrd. US-$ geschätzt.
Im Gegensatz zur herkömmlichen Tierzucht benötigt die Erzeugung proteinhaltiger Fleischersatzprodukte kaum Landfläche. Die Fütterung und Tierhaltung entfällt, was den Wasser- und Energiebedarf reduziert. Ebenso lässt sich die Freisetzung von Methan in die Atmosphäre vermeiden. Laut der erwähnten Studie sparen allein pflanzliche Fleisch- und Eiprodukte auf diese Weise bis 2035 weltweit über eine Gigatonne CO2 ein – dies entspricht dem CO2-Fußabdruck Japans für ein ganzes Jahr. Darüber hinaus würde der Einsatz pflanzlicher Eiweiße im selben Zeitraum genug Wasser sparen, um Londons Leitungswassernetz für 40 Jahre zu versorgen. Und jede Portion Spaghetti Bolognese aus pflanzlichem Fleischersatz vermeidet so viel Treibhausgas wie ein Neuwagen bei einer Fahrt von 10 km ausstößt.
Es klingt nach einer klassischen Win-win-Situation: Ohne Tierwohlgefährdung ließen sich nahezu unbeschränkte Fleischnährstoffe gewinnen. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass auch in der Biotechnologie eingesetzte Wachstumshormone und Antibiotika unklare Folgen für unsere Gesundheit haben könnten.
Die in diesem Life-Sciences-Sektor angewandten Technologien sind sehr vielfältig und setzen jeweils an verschiedenen Punkten der Wertschöpfungskette an – beispielsweise die kosteneffiziente Entwicklung fortschrittlicher Inhaltsstoffe und Spezialzutaten. Doch auch die Zulieferer und das nötige Equipment spielen eine große Rolle: So spezialisiert sich die Pharmaindustrie zunehmend auf lebensmitteltaugliche Fermentations- und Zellkulturausrüstungen wie Bioreaktoren und Messgeräte. Und Anlagenbauer fertigen oder modernisieren Maschinen für die großtechnische Formulierung und Texturierung von pflanzen- und mikroorganismenbasierten alternativen Proteinquellen.
Bei der Kultivierung von sogenanntem In-vitro-Fleisch züchten Chemielaboranten oder Lebensmitteltechniker tierisches Gewebe im Labor. Die hierfür benötigten Zellen werden nahezu schmerzfrei und mittels Spritze vom lebenden Tier aus den Muskeln entnommen. Aus einer einzelnen Muskelzelle lassen sich laut Expertenschätzungen bis zu eine Trillion künstliche Zellen gewinnen. Diese werden in ein Kulturmedium eingebracht, damit sie dort wachsen und sich vermehren. Mit der Zeit werden aus den Stamm- viele Muskelzellen, die sich in Fasern anordnen. Die Optik und Konsistenz eines tierischen Steaks oder Fischfilets wird später imitiert, indem die biotechnologischen Muskelfasern zu einer kompakten Masse geformt werden.
Neben der In-vitro-Technologie gibt es noch weitere Ansätze wie die Entwicklung von Proteinen aus Luft und Wasser. Um ein Proteinmehl für luftbasierte Fleischersatzprodukte zu erhalten, werden Kohlendioxid, Sauerstoff und Stickstoff aus der Umgebungsluft mit Wasser und Mineralstoffen in einem speziellen Verfahren kombiniert. Welche der vielfältigen Technologien sich als Marktführer etabliert, werden die kommenden Jahre zeigen.
Sicherlich haben viele Konsumenten bereits im Supermarkt oder der Gastronomie erste Berührungspunkte mit veganen oder vegetarischen Proteinquellen als Alternative zu konventionellen Fleischprodukten gehabt. Ein berühmtes Beispiel der Branche ist das kalifornische Start-up Beyond Meat, das mit seinen veganen Burgern aus Erbsenproteinen, Kartoffelstärke, Kokosnussöl und weiteren Zutaten wie rote Bete hohe Umsätze und Börsengewinne einfährt.
Doch auch in Deutschland nehmen Forschungsvorhaben zu: So bündelt das Projekt FutureProteins das Know-how von sechs Fraunhofer-Instituten, um neue Proteinquellen als Fleischersatz zu erschließen. Dabei setzen die Wissenschaftler vor allem auf Insekten, Pilze oder Algen. Das Ziel der kommenden Jahre basiert auf zwei Säulen: Zum einen geht es um optimierte Rezepturen für die Lebensmittelindustrie, um unter anderem den Geschmack und Geruch weiter zu verbessern. Zum anderen wird an einer Infrastruktur und neuartigen Anbausystemen gefeilt, die eine kostengünstige und ressourcenschonende Herstellung in geschlossenen Kreisläufen ermöglichen. Die Proteinquellen sollen somit ganzjährig, klimaunabhängig und dadurch mit hoher Effizienz und Resilienz zur Verfügung stehen können. Darüber hinaus werden Energie-, Abfall- und Abwasserströme im Anbauprozess integriert: Überschüssige Pflanzenbestandteile finden somit unter anderem als Substrat für die Kultivierung von Insekten, Pilzen und Algen Verwendung.